In den letzten Wochen ist, bedingt durch den Zuzug von Flüchtlingen, die bedarfsorientierte Mindestsicherung ins Gerede gekommen. Auf der einen Seite werde sie durch den Zuzug von Asylwerbern unfinanzierbar, auf der anderen Seite werde durch ihre Höhe für die Bezieher der Mindestsicherung zu wenig Anreiz geschaffen, in die Erwerbsarbeit zurückzukehren. Die bedarfsorientierte Mindestsicherung sei eine soziale Hängematte in der es sich gut auf Kosten Anderer leben ließe. Was ist dran an diesen Vorwürfen?
Vergleich von Einkommen aus Erwerbstätigkeit/Pension mit Mindestsicherung
Generell gilt, dass die Mindestsicherung für Haushalte mit vielen Mitgliedern am rentabelsten, hingegen für allein stehende Personen am wenigsten rentabel ist.
Untersuchen wir zunächst die Situation der Gruppe der allein stehenden Personen.
In den folgenden Tabellen werden jene Bruttoeinkommen angeführt, die nötig sind um ein Nettoeinkommen zu erhalten, das in der Höhe der Mindestsicherung liegt.
Alleinstehende Arbeiter/Angestellte
Für alleinstehende Personen beträgt die maximale Auszahlung der Mindestsicherung 827,82 Euro im Monat.
Ein alleinstehender Arbeiter bzw. Angestellter müsste über ein Bruttoeinkommen von 834 Euro verfügen, um auf ein Monatsäquivalent der Mindestsicherung zu kommen. Monatsäquivalent bedeutet dabei, dass das Jahresnettoeinkommen auf ein Monat umgelegt wird.
Arbeiter/Angestellter alleinstehend, keine Kinder | ||||
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laufender Bezug | 13. Bezug | 14. Bezug | Jahresbezug | |
Brutto | 834,00 | 834,00 | 834,00 | 11676,00 |
Sozailversicherung | 126,10 | 117,76 | 117,76 | 1748,72 |
Lohnsteuer | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
Netto | 707,90 | 716,24 | 716,24 | 9927,28 |
Monatsäquivalent | 827,27 |
In Österreich gibt es keinen generellen Mindestlohn, Mindestlöhne werden für jede Branche unterschiedlich im Rahmen von Kollektivverträgen geregelt. Sie lagen 2014 bei:
Mindestlohn/Monat für Angestellte (2014) | Differenz zur Mindestsicherung | ||||
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Branche | brutto | netto | Monats- äquivalent | monatlich | jährlich |
Handel | 1,450.00 | 1167,82 | 1361,47 | 533,65 | 6403,80 |
Baugewerbe | 1,742.00 | 1336,26 | 1565,55 | 737,73 | 8852,76 |
IT | 1,645.00 | 1276,70 | 1493,40 | 665,58 | 7986,96 |
Bekleidung | 1,387.00 | 1139,06 | 1326,60 | 498,78 | 5985,36 |
Metall Branche | 1,688.00 | 1303,10 | 1525,38 | 697,56 | 8370,72 |
Je nach Branche liegt der Abstand eines Angestellten, der einen Mindestlohn bezieht zu einem Bezug aus der Mindestsicherung zwischen 5985,36 Euro und 8872,76 Euro. Diese Differenz ist zu groß, aus ihr kann nicht abgeleitet werden, dass Erwerbstätigkeit durch die Mindestsicherung unattraktiv gemacht werde.
Alleinstehende Pensionisten
Alleinstehende Pensionisten müssten über eine Bruttopension von 747,70 Euro verfügen, um auf ein Monatsäquivalent der Mindestsicherung zu kommen.
Pensionist, alleinstehend, keine Kinder | ||||
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laufender Bezug | 13. Bezug | 14. Bezug | Jahresbezug | |
Brutto | 747,70 | 747,70 | 747,70 | 10467,80 |
Sozailversicherung | 38,13 | 38,13 | 38,13 | 533,82 |
Lohnsteuer | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
Netto | 709,57 | 709,57 | 709,57 | 9933,98 |
Monatsäquivalent | 827,83 |
Die Mindestpensionen liegen in Österreich bei 882,78 Euro, d.h. ein Mindestpensionist kommt auf ein Monatsäquivalent von 977,39 Euro.
Mindespension, alleinst., keine Kinder | ||||
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laufender Bezug | 13. Bezug | 14. Bezug | Jahresbezug | |
Brutto | 882,78 | 882,78 | 882,78 | 12358,92 |
Sozailversicherung | 45,02 | 45,02 | 45,02 | 630,28 |
Lohnsteuer | 0,00 | 0,00 | 0,00 | 0,00 |
Netto | 837,76 | 837,76 | 837,76 | 11728,64 |
Monatsäquivalent | 977,39 |
Der Abstand eines Mindestpensionisten liegt gegenüber einem Bezug aus der Mindestsicherung bei 1794,66 Euro.
Es zeigt sich, dass für allein stehende Personen die Mindestsicherung keinesfalls rentabel ist. Dennoch macht die Gruppe der allein in einem Haushalt lebenden oder allein Anspruchberechtigten etwa 60% der Bezieher von Mindesscherung aus.
Weil für diese Gruppe die Mindestsicherung keinesfalls rentabel erscheint, muss daraus geschlossen werden, dass es andere Gründe gibt, warum diese Gruppe den weitaus größten Anteil an Beziehern von Mindestsicherung stellt.
Anzahl der Bezieher der bedarfsorientierten Mindessicherung 2014
Davon entfallen auf... | ||||||
Bundes- land | insges. | Allein- stehende | Paare ohne Kinder | Allein- erziehende | Paare mit Kindern | Andere |
Ö | 256405 | 93284 | 14354 | 54215 | 74865 | 20534 |
B | 3424 | 1283 | 242 | 785 | 843 | 271 |
K | 5186 | 2095 | 318 | 809 | 1028 | 936 |
NÖ | 24138 | 7888 | 1388 | 5495 | 6874 | 2493 |
OÖ | 17594 | 4605 | 777 | 4068 | 4992 | 3152 |
S | 13376 | 5541 | 755 | 3725 | 3494 | 708 |
St | 25604 | 7052 | 1094 | 7330 | 7222 | 2906 |
T | 15220 | 4438 | 526 | 3291 | 3737 | 3228 |
V | 10289 | 2395 | 284 | 3376 | 2785 | 1449 |
W | 141574 | 57987 | 8970 | 25336 | 43890 | 5391 |
27 Prozent der Bezieher sind Kinder, sechs Prozent Menschen im Pensionsalter, die keine Pensionsberechtigung haben. Viele andere können laut Sozialministerium ihre Arbeitskraft „nicht einsetzen“. Das betrifft etwa pflegende Angehörige, Mütter mit Kleinkindern und psychisch oder körperlich Kranke. Dann gibt es noch Mindestsicherungsbezieher, die zwar arbeiten gehen, aber trotzdem zu wenig verdienen, um davon leben zu können. Sie finden etwa nur einen Teilzeitjob oder werden schlicht und einfach zu schlecht bezahlt – Stichwort „working poor“. Insgesamt sind rund 40 Prozent der Bezieher beim AMS als arbeitslos gemeldet.
Bezugsdauer
Im Durchschnitt erhält ein Bezieher Leistungen aus dem Mindestsicherungstopf für ca. acht Monate, also nicht ein halbes Leben lang.
Bezugsdauer | |||||
Bundes- land | insges. | < 4 Mon. | 4-6 Mon. | 7-12 Mon. | durschn. Bezugsdauer |
Ö | 275062 | 54911 | 43398 | 176753 | 7,7 |
B | 3424 | 573 | 343 | 2508 | 9,8 |
K | 5186 | 2207 | 787 | 2192 | 5,8 |
NÖ | 24138 | 6761 | 4488 | 12889 | 7,1 |
OÖ | 20013 | 3698 | 4594 | 11721 | 7,5 |
S | 13376 | 3796 | 2191 | 7389 | 7,4 |
St | 25604 | 9362 | 5364 | 10878 | 6,6 |
T | 15220 | 5453 | 2465 | 7302 | 6,2 |
V | 10289 | 3654 | 1684 | 4951 | 6,0 |
W | 157812 | 19407 | 21482 | 116923 | 9,1 |
Lebenshaltungskosten
Bei dem maximal ausbezahlten Betrag der Mindestsicherung von 747,70 Euro bleiben dem Bezieher bei Lebenshaltungskosten von 550 Euro bis 700 Euro zwischen 47,7 Euro und 197,70 Euro pro Monat, das sind ca. 1,6 Euro bis 6,60 Euro pro Tag. Die soziale Hängematte sieht wahrlich anders aus.
Ergänzend muss gesagt werden, dass man nicht einfach Mindestsicherung beziehen kann, wenn man plötzlich nicht mehr arbeiten „will“. Alles, was über 4.140 Euro an Erspartem oder sonstigem Vermögen hinausgeht, muss verwertet werden. Das betrifft Lebensversicherungen und Bausparverträge genauso wie Autos und vieles mehr.
Ausgenommen von der Verwertung sind, falls vorhanden, die Eigentumswohnung oder das Haus, in dem man lebt, bzw. die Einrichtung. Aber auch hier schreibt sich das Amt ins Grundbuch, wenn länger als sechs Monate Mindestsicherung bezogen wird. Werden die Wohnung oder das Haus vererbt oder verkauft, holt sich die öffentliche Hand das Geld zurück.
Mindestsicherungsbezieher haben absolut kein Vermögen und mit dem Bezug aus der Lebenssicherung kommen sie recht und schlecht aus.
Finanzierbarkeit
Aktuell wird immer öfter formuliert, die Mindestsicherung sei, speziell durch den Zuzug von Asylwerbern in dieser Form nicht finanzierbar.
Die Mindestsicherung sei zu hoch, schaffe dadurch kaum einen Anreiz sich darum zu bemühen, in den Erwerbsprozess zurückzukehren.
Dieser Argumentation wiederspricht einerseits die relativ kurze durchschnittliche Bezugsdauer von 8 Monaten und der Umsatnd, dass jene Gruppe, für die sich die Mindestsicherung keinesfalls rentiert, mit 60 % den größten Anteil an Beziehern stellt.
Vielfach wird kritisiert, dass Menschen ein Einkommen beziehen ohne dafür arbeiten zu müssen. Daneben gibt es allerdings eine Reihe von Formen von „arbeitslosen Einkommen“, die kaum bzw. gar nicht als negativ wahrgenommen werden. Zu diesen Formen gehören z.B. Gewinne aus Spekulation oder durch Erben.
Erbschaften
Gerechnet zum Gegenwartswert (also inflationsbereinigt) erhielten die vermögendsten zehn Prozent der Haushalte im Durchschnitt etwa 310.000 Euro. Für die vermögensärmsten 40 Prozent betrug das Erbe hingegen unter 17.000 Euro.

Vermögensverteilung
Vermögen sind in Österreich sehr ungleich verteilt. Im folgenden Abschnitt unterteilen wir die Haushalte in vier Gruppen nach ihrer Position in der Bruttovermögensverteilung.
- „untere Hälfte“ (0–50): Haushalte, die weniger Vermögen als der mittlere (Median) Haushalt besitzen (bis rund 93.000 EUR).
- „obere Mitte“ (51–80): Haushalte, die über mehr Vermögen als der mittlere (Median) Haushalt verfügen, aber nicht zum Top-Fünftel gehören (ab rund 93.000 bis rund 331.000 EUR).
- „Vermögende“ (80–95): Haushalte, die zum Top-Fünftel, aber nicht zu den Top-5% gehören (ab rund 331.000 EUR bis rund 979.000 EUR).
- „Top-5%“ Haushalte ab rund 979.000 EUR an Bruttovermögen.

Die gesamte untere Hälfte der Haushalte verfügt über rund 4% des gesamten Bruttovermögens. Die obere Mitte (30% der Haushalte) hält rund 22% des gesamten Bruttovermögens, die Vermögenden (15% der Haushalte) besitzen rund 29% und die Top-5% halten rund 45% des gesamten Bruttovermögens. Anders ausgedrückt: die kleinste Gruppe (Top-5%) besitzt fast die Hälfte des gesamten Bruttovermögens, während die größte Gruppe (untere Hälfte) nur einen minimalen Anteil am gesamten Bruttovermögen hat.
Steuerleistung
Betrachtet man die Leistungen aus Lohn und Einkommensteuer ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei den Vermögen. Die Top-Verdiener zahlen verhältnismäßig mehr Steuern als die Bezieher niedriger Einkommen.
Diese Darstellung berücksichtig nur die Zahlungen von Lohn- und Einkommensteuern. Nicht berücksichtigt ist die Einkommensteuer für Firmen und Betriebe, die Körperschaftssteuer. In diesem Bereich gibt es Möglichkeiten, die Steuerleistung mit legalen und illegalen Miteln zu senken. Steuervermeidung und Steuerflucht sind die entsprechenden Stichworte.
Steuerflucht
Sechs Billionen Euro liegen laut einer Studie der London School of Economics in Steueroasen. Die Zahl wurde durch Anomalien in den globalen Investitions-Bilanzen errechnet. Rund ein Drittel dieses Geldes stammt aus Europa. Für die betroffenen Staaten bedeutet dies einen jährlichen Steuerausfall in der Höhe von 150 Mrd. Euro.
Laut EU-Kommission entgehen den Mitgliedsstaaten durch Hinterziehung und Umgehung von Steuerpflichten jährlich eine Billion Euro. Das sind rund 2000 Euro pro EU-Bürger, oder 7.1 Prozent des EU-weiten Bruttoinlandsprodukts. Damit könnten alle Budgetdefizite der Mitgliedsstaaten beglichen werden – und das gleich zweimal.
Optionen für Reformen
- Umstrukturierung des Steuersystems: In Österreich sind Vermögen niedrig oder gar nicht besteuert, während Arbeit im internationalen Vergleich extrem hoch besteuert wird, d.h. Vermögenssteuern auf hohe Vermögen.
- Einführung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer: Erbschaften sind Vermögenszuwächse wie andere Einkommen auch, und fallen damit unter eine Einkommenssteuerbesteuerung im weiteren Sinne.
- Reform der Grundsteuer: Es wäre an der Zeit, die veralteten Einheitswerte an Verkehrswerte anzupassen.
- Schließung von Steueroasen und effektive Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung und -umgehung. Insbesondere hohe Vermögen profitieren von den Schlupflöchern in der Steuerarchitektur.
- Einführung der Finanztransaktionssteuer und Regulierung des Finanzsektors.
Fazit
Es ist verwunderlich, dass von jenen politischen Parteien, die die Mindestsicherung am stärksten kritisieren und deren Bezieher in die Nähe von Sozialschmarotzern rücken, so tun, als ob die einzige Möglichkeit die Mindestsicherung zu finanzieren darin bestünde, die erforderlichen Mittel der ohnedies schon stark belasteten Mittelschicht abzuverlangen.
Der Weg zur Finanzierung der Mindestsicherung muss über die Bekämpfung der wirklichen Sozialschmarotzer, der Steuerflüchtlinge und der Spekulanten, führen. Anstelle bei jenen, die ohnehin nichts mehr haben, noch einzusparen, sollten jene, die dem Staat Steuermittel vorenthalten und die Zahlung der vorenthalten Steuern jenen aufbürden, die im Moment auch noch die Kosten für die Mindestsicherung schultern sollen, in die Pflicht genommen werden. Der politische Wille dies zu tun ist im Moment eher enden wollend.
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